GEBETSBÜCHER

Wenn eine Frau als Hexe denunziert und angeklagt wird – was macht das mit den Leuten im Dorf? Schließlich kennt hier jeder jeden und die meisten werden sich an Erlebnisse, Begegnungen oder Gespräche mit ihr erinnern. Vielleicht haben sie als Kinder zusammen gespielt, sind gemeinsam zur Schule gegangen oder haben bei demselben Bauern gearbeitet. Vielleicht hat jemand für sie geschwärmt. Vielleicht haben sie sie schon immer geärgert.
Mit der Arbeit „Gebetsbücher“ fragt UTE FÜRSTENBERG nach den Mitmenschen der als Hexe verurteilten Frau. Mit einfach gefalteten Papieren auf den Pulten der Kirchenbänke bezeichnete sie Sitzplätze in mehreren Reihen. Die Besucher:innen der Werkstattausstellung erfanden dann Personen, die im 17. Jahrhundert in Sieversdorf und Hohenofen gelebt haben könnten. So entstand eine fiktive, sinnlich spürbare Dorfgemeinschaft, die sich in der Kirche zusammenfand.
Die Überlegungen gehen weiter – auch zu der Frage, welche Gedanken und Gefühle jede:r von ihnen zu der als Hexe verurteilten und bereits verhafteten Marie Müller hatte. Wenn Sie dazu Ideen haben, schreiben Sie sie gern in die Kommentare.

Sieversdorf und Hohenofen im Jahr 1668. Vor acht Jahren wurde Hedwig Müller als Hexe verbrannt. Der Prozess gegen Marie Müller läuft. Sie sitzt seit 1667 in Haft und wird im Februar 1669 „befragt“ und im Juni 1669 hingerichtet.
Einheimische sind:

JOHANNES RAMIN – Bürgermeister, Großbauer, Sieversdorf
Familie siedelt auch in Raminsgut (Großderschau) // hat 52 ha Land // 12 Kinder, davon überleben 5 (2 Jungs, 3 Mädchen) // Ein Sohn übernimmt den Hof, die anderen werden Knecht und Mägde // Anbau von Roggen und Hanf // 12 Kühe, 18 Schweine, 6 Pferde // Hat 5 Knechte, 4 Mägde, 10 Tagelöhner

HERRMANN SCHMIDT – Dorfschmied, Sieversdorf
Schmiede mit Hufbeschlag // Nachbar ist Stellmacher // 9 Kinder, 3 überleben // Hat zwei Finger der rechten Hand verloren, in Eisengestell gequetscht

HELENE VANSELOW – Pfarrerstochter, Sieversdorf
Sie ist die älteste von 5 Geschwistern und hat 3 Schwestern. Als sie 12 Jahre alt ist, wird ihr Bruder geboren und die Mutter stirbt bei der Geburt im Kindbett. Die Geschwister heiraten und ziehen weg. Der Bruder wird wie sein Vater Pfarrer. Helene bleibt unverheiratet, lebt im Haus ihres Vaters und pflegt ihn bis zu seinem Tod.

ERNST PHILIPP SEMLER – Förster, Sieversdorf (*1605)
wohnhaft erst in Neuendorf, dann Sieversdorf // Verheiratet mit Dorothea Pohlmann // Vater von Gottfried Semler, Pferdehändler und Gutsbesitzer in Goldbeck // 6 Kinder, 5 überleben (4 Jungs, 1 Mädchen)

BARBARA KAROLINE KITZBACH – Ehefrau, Kyritz
Frau des Holzhändlers und Pferdezüchters Friedhelm Kitzbach aus Kyritz. Sie sitzt an Sonntagen in der Kirche, an denen sie ihre Mutter in Sieversdorf besucht und mit ihr in die Kirche geht. Barbara weiß sehr viel über Pferde, besonders über Pferdegesundheit. Es wird ihr nachgesagt, dass sie ihren Mann sowohl beim Holzhandel als auch bei der Pferdezucht stark unterstützt. Es heißt weiter, er ginge keinen Handel ein ohne ihr Einverständnis. Barbara war in ihrer Kindheit mit Marie Müller befreundet, später verloren sie sich aus den Augen.

BALTAZAR HANZ – Fährmann, Hohenofen

KARL CHR. REETZ – Müller, Hohenofen (*1610)
Mühlenbesitzer der Wassermühle // Verheiratet, 6 Kinder // 2 Mägde, 3 Knechte // Ältester im Kirchenrat

MARIA SEYBOLD – Hebamme, Sieversdorf
Enkelin der im Jahre 1590 als Hexe verbrannten Margarethe Seybold (Hebamme im fränkischen Weißenburg. Unter Druck der katholischen Kirche erstelle der evangelische Rat von Weißenburg ein theologisches Gutachten, das veranlasste, Margarethe zu verhaften, zu foltern und hinzurichten)

HOLLE WIGAND – Bäuerin, Friedrichsbruch (*1628)
Witwe, 4 Kinder // die älteste Tochter ist 20, der jüngste Sohn 10 Jahre alt // alle Kinder müssen auf dem Bauernhof helfen // sie besitzt 25 ha Land, Schafe, Ziegen, Kühe // macht Käse zum Verkauf // Der Mann Hubert ist auf dem Markt von einem Pferdewagen überrollt worden und an Wundbrand gestorben. // Seit dem Tod des Mannes lebt ein Bruder von Holle auf dem Hof. Der hatte mal ein Auge auf die „Hexe“ geworfen, wurde aber nicht erwidert.

AMALIE HÜBNER – Gärtnerin, Marktfrau, Sieversdorf
Hat einen großen Gemüsegarten // 4 Kinder und Mann, 3 Kinder überleben // läuft mehrmals pro Woche morgens um 5 Uhr nach Neustadt zum Markt auf dem Kirchplatz (8 km) // Kinder müssen mitarbeiten

HILDE UND HEINRICH BLASCHKE – Wirtsleute, Sieversdorf
Betreiber des örtlichen Dorfkrugs „Zingel-Eck“. Das Wirtshausehepaar betreibt eine eigene kleine Brauerei, der Dorfkrug hat einen Tanzboden, auf dem regelmäßig Feste und Hochzeiten gefeiert werden und gelegentlich Aufführungen wandernder Puppenspieler stattfinden. Der Dorfkrug verfügt über zwei einfache Fremdenzimmer und einen Stall für Einstellpferde. Handelsreisende, Offiziere oder Boten bezahlen je nach Qualität ihres Rockes und ihres Verhandlungsgeschickes unterschiedliche Preise für Übernachtung. Böse Zungen behaupten, Blaschkes würden illegal mit Schnaps handeln.

ERNST HUGO BLASE – Hufschmied, Sieversdorf (*1613)
Hufschmied in 3. Generation // wuchs in Sieversdorf auf und sorgt mit seiner mobilen Schmiede für den Aufstieg der Gegend und für eine erfolgreiche Pferdezucht der Region

MINNA (HERMINE) STENGEL – Häuslerin, Sieversdorf
Geborene Müller // Großnichte der „Hexe“ Ilse Möller, an die sich die Alten noch erinnern (1620 hingerichtet). In der Schule wird sie gehänselt: „Hex, hex!“. Ihre Haare sind rotblond und angeblich ähnelt sie ihrer Großtante. Minna hat Hinrich geheiratet und erwartet ihr drittes Kind. Sie leben bescheiden mit kleiner Selbstversorgung und Hinrich nimmt fleißig Lohnarbeit an. Von der Großtante will er nichts wissen, aber wenn sein Knie wieder dick ist, lässt er sich von Minna Kräuterumschläge machen und trinkt auch den Tee, den sie ihm brüht. Alle Frauen in ihrer Familie wissen viel über Kräuter …

LINA BARSIKOW – Dienstmagd, Hohenofen (*1641)
unverheiratet, braune Augen // wohnt in einem Gebäude der Eisenhütte // Dienstmagd beim Fabrikbesitzer

WENZEL OSSEBORN – Schuster, Sieversdorf (*1620)
bucklig und auf einem Auge blind // guter Handwerker, aber einfältig // Nachbar von Marie Müller // lebt allein mit mehreren Katzen // stammt aus einer Schuhmacherdynastie in Wusterhausen (Schusterhausen)

THIES HAKE – Hüter, Hohenofen (*1636)

MINNA MÜLLER – Gänsemagd, Sieversdorf (*1650)

15 Gedanken zu „GEBETSBÜCHER“

  1. Tolle Lebensgeschichten – aber weniger Frauen- als Männergeschichten, das kann grad beim Hexenthema nicht sein, deshalb hier ein weiterer Vorschlag:
    Helene Vanselow, Pfarrerstochter.
    Sie war die älteste von 5 Geschwistern und hatte drei Schwestern. Als sie 12 Jahre alt war, wurde ihr Bruder geboren und die Mutter starb bei der Geburt im Kindbett.
    Alle Geschwister heirateten und zogen weg. Der Bruder wurde wie sein Vater Pfarrer. Helene blieb unverheiratet, lebte im Haus ihres Vaters und pflegte ihn bis zu seinem Tod.

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  2. Gute Frage. Wahrscheinlich nicht, die Schulpflicht wurde in Preußen erst 1717 eingeführt. Jedenfalls nahm die Zahl der einfachen Schulen für Religion, Rechnen und Lesen in Deutschland schon im 17. Jhd. allmählich zu. Vielleicht gab es auch Bibelstunden.

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  3. Die Frauen sind weniger dominant, schreibst Du – das war doch so im ausgeprägten Patriarchat. Ausnahmen gab es unter Adligen. Aber die saßen nicht in d i e s e r Kirche, oder?
    Hier noch ein Versuch zu einer dominanten Frau:
    Barbara Karoline Kitzbach
    Frau des Holzhändlers und Pferdezüchters Friedhelm Kitzbach aus Kyritz. Sie sitzt an Sonntagen in der Kirche, an denen sie ihre Mutter in Sieversdorf besucht und mit ihr in die Kirche geht.
    Barbara weiß sehr viel über Pferde, besonders über Pferdegesundheit. Es wird ihr nachgesagt, dass sie ihren Mann sowohl beim Holzhandel als auch bei der Pferdezucht stark unterstützt. Es heißt weiter, er ginge keinen Handel ein ohne ihr Einverständnis.
    Barbara war in ihrer Kindheit mit Marie Müller befreundet, später verloren sie sich aus den Augen.

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  4. Ja, die zufällig erfundenen Personen bilden die patriarchale Gemeinschaft, wie sie gewesen sein könnte, ganz gut ab. Aber starke Frauen sind auch immer ein wichtiger Teil davon, auch wenn sie vor allem im Hintergrund agieren.
    Wir können Barbara Karoline Kitzbach gern aufnehmen – aber insgesamt sollten es 15 Personen bleiben, 7 Frauen und 8 Männer. Dazu kommt die Hexe, dann ist es ausgewogen. Also die Frage ist, wer fliegt raus? Vielleicht reicht ja ein Schmied und Ernst Hugo Blase und Herrmann Schmidt werden zu einer Person? Minna Müller und Minna Stengel, geb. Müller, finde ich auch noch recht ähnlich.

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  5. Na, von mir aus, wenn das damals schon so hieß? Vermutlich eher nicht.
    Ich lese gerade „Die Hexe vom Fischland“, über das Leben und Leiden der Tilsche Schellweggen um die Zeit des dreißigährigen Krieges, 1635. Im Buch wird vom Küster Bradhering geschrieben, dem Schulmeister. Offenbar gab es also sowas wie Schule schon.

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  6. Also hier nun noch ein Vorschlag, damit das soziale Dorfzentrum nicht fehlt:
    Hilde und Heinrich Blaschke, Wirtsleute.
    Betreiber des örtlichen Dorfkrugs. Das Wirtshausehepaar betreibt eine eigene kleine Brauerei, der Dorfkrug hat einen Tanzboden, auf dem regelmäßig Feste und Hochzeiten gefeiert werden und gelegentlich Aufführungen wandernder Puppenspieler stattfinden.
    Der Dorfkrug verfügt über zwei einfache Fremdenzimmer und einen Stall für Einstellpferde.
    Handelsreisende, Offiziere oder Boten bezahlen je nach Qualität ihres Rockes und ihres Verhandlungsgeschickes unterschiedliche Preise für Übernachtung.
    Böse Zungen behaupten, Blaschkes würden illegal mit Schnaps handeln.

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  7. Hier meine Überlegungen zu den Wirtsleuten:
    Wir sprechen über die Zeit 20 Jahre nach dem 30-jährigen Krieg. Da sollten die Gallersche Verwüstung durch Brandenburgische Truppen und das Elend, das der Krieg gebracht hatte, nicht vergessen werden. Richtig ist, dass ein Wirtshaus fast immer mit einer Brauerei zusammen betrieben wurde. Die Wirtsleute waren Bierverkäufer. Warum Bier? Bier galt als Nahrungsmittel. Das Wasser hatte eine so schlechte Qualität, dass die Menschen davon krank wurden und nur der Brauvorgang die Bakterien und Viren abtötete.
    Eine Wirtschaft im 17. Jahrhundert kann man sich so vorstellen: Ein Bauernhof mit Bierausschank, betrieben vom „Krüger“. Oft wurde etwas Essbares angeboten. Fremdenzimmer gab es nur selten in den Dörfern. Für die Rast von Fremden gab es so genannte Ausspannen. Dort wurden Pferde versorgt und Fremde verköstigt. Auch Wirtsleute hatten Mägde und Knechte. Es gab keinen Saal. Die „Wirtsstube“ war, besonders bei kleinen Krügern, ein Raum in der Kate. Diese kleinen Krüger – und das waren die meisten – bezogen ihr Bier selten von einer Wirtschaft mit Brauerei. Und wenn, nur im eigenen Ort oder im nahen Umkreis. Alles, was angeboten und auch selbst verzehrt wurde, musste in der eigenen Wirtschaft erzeugt werden. Nach getaner Arbeit gingen die meisten Dorfbewohner täglich ins Wirtshaus, aber Knechte und Bauern besuchten selten die gleichen Wirtschaften. Viele Bauernhöfe hatten eine Schnapsbrennerei. Daran war nichts Illegales. Die Großbauern hatten oft eine eigene Brauerei zur Versorgung ihrer Familie und der Mägde und Knechte, aber keinen Ausschank.
    Getanzt wurde in der pflanz- und erntefreien Zeit. Also oft nur zwei- bis dreimal im Jahr, im Winter und im Sommer. Wobei im Sommer draußen und im Winter oft auf einer Tenne getanzt wurde. Die Feste wurden nur selten von den Wirtsleuten, sondern meistens von Mägden und Knechten organisiert. In großen Dörfern fand einmal im Jahr die Kirmes statt.
    Hochzeiten wurden oft auf dem eigenen Hof und der Tenne ausgerichtet. Bei den kleinen Leuten musste die Kirche mit einer Minifeier ausreichen. Bei einer Hochzeit zwischen Magd und Knecht war die Großzügigkeit des Bauern gefragt.
    Auf der Tenne traten auch umherziehende Marketender, Schausteller, Künstler, Puppenspieler und Schauspieler auf. Sie übernachteten im Stroh.

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  8. Schnaps b r e n n e n war sicherlich so üblich wie Bierbrauen, aber ob die Gastwirte den Schnaps zinsfrei v e r k a u f e n durften, sprich damit handeln, würde ich hinterfragen wollen. Aus der Kurpfalz ist mir bekannt, dass Gastwirte bereits 1550, also hundert Jahre früher, Zins auf Weinverkauf zu entrichten hatten. Nun ist sicher der Norden und Brandenburg immer langsamer in der Entwicklung (gewesen;-)), aber ob das ausgerechnet auf Steuerabgaben in Kriegszeiten auch zutraf,…?

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