HEXENWÄLDCHEN

Ein heißer Sommertag Ende August. Heute will mir Herr Deylitz das Hexenwäldchen zeigen. Er wartet mit seinem E-Mobil am Ortsausgang, fährt dann einen sandigen Feldweg entlang, ich vorsichtig mit dem Auto hinterher. „Hier rechts ist es.“ Wenige hundert Meter hinter dem letzten Haus ein lichtes Wäldchen, wie eine Zunge ragt es in die abgeernteten Felder. „Sehen Sie den dunklen Streifen im Boden da hinten? Das ist der alte Dosselauf.“ In der Ferne zieht ein Traktor eine Staubfahne hinter sich her. „Und da rechts, die Erlenreihe, da war das Flussufer.“ Das Wäldchen neben uns liegt leicht erhaben, früher soll hier der Rhinowberg gewesen sein. Der Sand sei für die Trockenlegung des Flusses und den Bau der Sieversdorfer Kirche verwendet worden, sagt man. Herr Deylitz überlegt, ob die Hexenverbrennung nicht eher auf der anderen Seite der Dosse stattgefunden habe. Brauchte man nicht mehr Abstand zu den Häusern? Bot nicht der Fluss eine gute Abgrenzung? Dann fährt er ins Dorf zurück.
Ich stelle mir vor, wie die Leute ankommen, langsam, zu Fuß, in Gruppen. Dass zu Hause das Essen gekocht werden muss und das Vieh versorgt. Dass Anwesenheit Pflicht ist und dass eine Erregung ist unter ihnen. Dass Sommer ist, ein sonniger Tag. Dass es windig ist, wie heute.
Das Wäldchen misst etwa 50 Meter in der Breite. Hier stehen Kiefern und ein paar Birken und Eichen. Einige trockene Bäume sind umgestürzt. Auf dem Boden weiches langes Gras. Ich gehe, fotografiere. Plötzlich wird der Wind stärker, Sand wirbelt vom Feld auf und taucht die Bäume in ein Zwielicht. Und dann sehe ich sie. Eine kleine Frauenfigur zwischen den Stämmen. Still steht sie da, abgewandt, im Gehen begriffen. Nur dass es stimmt, wollte sie sagen. Und dass es gut ist, dass wir uns erinnern.

Fotos: UF

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